Hält man ein Prisma ins Sonnenlicht, wird das Licht nach seinen Spektralfarben
aufgefächert und es entsteht ein Regenbogenmuster. Sehen wir das Licht ohne
Prisma erscheint es farblos. Obwohl das Sonnenlicht alle Farbkomponenten enthält
und auf der Retina in unseren Augen alle Farbrezeptoren gleichermaßen stimuliert,
interpretiert unser Gehirn das einfallende Licht als Weiß.
In der Malerei kann der Effekt der optischen Farbmischung für eine besonders
ausgeprägte Farbleuchtkraft ausgenutzt werden. In der unter dem verallgemeinerten
Begriff „Divisionismus“ bezeichneten Malrichtung, werden,
wie im Pointilismus, leuchtstarke Grundfarben in Form von schmalen Linien oder
Punkten dicht nebeneinander platziert, die sich erst im Auge des Betrachters mischen.
Setzt man beispielsweise eine rote, eine grüne und eine blaue Linie (RGB Farbraum) ausreichend nah nebeneinander, erscheinen die Linien aus der Ferne betrachtet weiß (bzw. grau). Der Vorteil des Divisionismus liegt darin, dass die Helligkeit der Farben beim
Mischen erhalten bleibt und somit zu besonders leuchtstarken Malereien führt.
Im Divisionismus gibt es zwei Wahrnehmungsebenen. Nähert man sich dem Bild,
verändern sich Farbigkeit und Oberflächenstruktur. Die Farbsättigung nimmt zu und es
kommt ein buntes Wirrwarr an Linien und Punkten zum Vorschein. Anders als in der
konventionellen Bildbetrachtung, wo Details oft erst aus der Nähe sichtbar werden,
stellt sich in der divisionistischen Malerei ein gegenteiliger Effekt ein: Je weiter sich der
Betrachter vom Bild entfernt, desto schärfer erscheinen die Details.
Die im Folgenden präsentierten Malereien beruhen auf einem
divisionistischen Ansatz, in dem gezielt mit der dynamischen Wahrnehmung von
Bildgegenstand und Malstruktur gespielt wird. Durch den Einsatz von Pipettenspitzen
werden feine netzförmige Farbschichten aus Acrylfarbe auf die Leinwand aufgetragen,
die sich aus der Ferne betrachtet zu leuchtstarken Kompositionen mit einem hohen
Detailgrad formieren. Grashalme, fein strukturierte Gesteinsformationen und
verästelte Bäume treten zum Vorschein und fordern den Betrachter auf näher zu
treten, um die Details genauer zu inspizieren. Folgt der Betrachter diesem Aufruf,
werden die Bildmotive jedoch unscharf und lösen sich schließlich auf.
Die Umkehrung des Verhältnisses von Bildabstand und Detailschärfe und die
Veränderung der Farbwahrnehmung führt zu einem spannenden Wechselspiel
zwischen Abstraktion und Figürlichkeit, zwischen Malerei und Betrachter, zwischen
Realität und Wahrnehmung. Wo der Betrachter aus der Ferne noch das Bildmotiv
durch seine Wahrnehmung und Interpretation vollendet, tritt, aus der Nähe
betrachtet, die Malstruktur so weit in den Vordergrund, dass die Rekonstruktion des
Bildgegenstands unmöglich wird.